Mit Limo zu mehr Mitgefühl
Die Niederländerin Margriet Sitskoorn über Gelüste in der
Hirnforschung
Aus den Niederlanden kommen neue Ansätze über das
menschliche Verhalten. Die Professorin für klinische
Neuropsychologie an der Universität Tilburg
Margriet Sitskoorn beschreibt am Beispiel religiöser
Todsünden die Funktionsweise des Gehirns. Damit entlässt
sie zwar niemanden an seiner "Schuld" an
destruktiven
Verhaltensweisen wie Neid, Wut, Gefräßigkeit, Stolz,
Habsucht, Lust und Trägheit, aber sie sorgt für mehr
Verständnis. Für sich und für andere. Obwohl sich die
Autorin auf zahlreiche Studien und Krankheitsfälle
stützt,
bezeichnet sie das leicht verständlich verfasste Buch
als populärwissenschaftlich. Warum essen wir mehr, als
uns guttut? Warum sind wir schadenfroh? Warum sabotieren
wir unsere Gesundheit entgegen besseren Wissens? Das
hängt mit den Zentren im Gehirn zusammen, die für
Belohnung und Schmerz zuständig sind. Neid ist ein
zutiefst
destruktives Gefühl. Einem anderen etwas nicht zu gönnen,
zieht häufig Schadenfreude nach sich oder gipfelt darin,
dem Beneideten sogar zu schaden. Das eigene
Selbstwertgefühl
wird dadurch erschüttert, dass ein anderer mehr besitzt
oder
schöner ist. Der Neider ist überzeugt davon, dass er
dieses
Niveau niemals erreichen wird. Wieso ist die Supermodel
und
ich nicht? Am neidischsten sind Menschen auf andere, die
ein
ähnliches Alter oder eine ähnliche Ausbildung haben. Im
Gehirn geht Neid mit einem Gefühl des Schmerzes einher.
Schadensfreude lindert dieses. Margriet Sitskoorn löst
den
Teufelskreis, indem sie zu mehr Bewunderung rät und dazu,
sich selbst mehr wertzuschätzen. Es sei doch wesentlich
besser,
sich von Erfolgreichen inspirieren zu lassen und die
Energie
dorthin auf ein eigenes Ziel zu lenken. Wut tut ebenfalls
nicht
gut. Dennoch meinen viele, sie müssten wütend bei
Enttäuschungen
oder Ungerechtigkeiten sein. Es gibt keinen neutralen
Messwert
für das Auslösen von Wut. Wo der eine sofort ausrastet,
bleibt
ein anderer cool. Bei Wut sieht niemand mehr klar. Der
Schlaf
wird gestört, der Wütende verbeißt sich in seinen blinden
Zorn.
Die Wut ist zwar gemäß der Autorin genetisch bedingt,
kann aber
durchaus bewusst kontrolliert werden. Die Forschung
hierzu steckt
noch in den Anfängen. Nicht ganz ernst zu nehmen, ist der
Hinweis,
dass Botox im Gesicht auch die Wut zähmen soll.
Manche Menschen sind sozial engagiert, andere nicht. Eine
Studie
von Gerben van Kleef und Kollegen von der Universität
Amsterdam
ergab, dass Probanden mit größerer sozialer Macht sich
weniger
für andere einsetzen. Diese Menschen können sich zudem
schlechter
in andere hineinversetzen. Sie sind weniger empathisch.
Die
Autorin schließt daraus: "Hier zeig sich, dass Macht
offenbar
einen negativen Einfluss ausübt und unser Gehirn auf eine
Weise
verändert, die uns für das Leid unserer Mitmenschen
weniger gut
nachempfinden lässt." Limonade könnte die triviale
Lösung sein.
Nathan DeWall und Kollegen stellten fest, dass Personen,
die
vor einer Aufgabe ein glukosehaltiges Getränk zu sich
nahmen,
hilfsbereiter waren. "Eine extra Portion Zucker kann
dieser
erhöhten sozialen Trägheit kurzfristig entgegenwirken und
die
Lust zu helfen steigern", schreibt Margriet
Sitskoorn. Doch dies
sind Krücken, denn der Mensch ist ein intelligentes Wesen
und
kann denken und sich verändern. Die Autorin betont, dass
auch
das Spenden von Geld oder Zeit, das Gefühl für die
Zusammengehörigkeit
zu einer Gruppe und prosoziales Handeln das
Belohnungszentrum
im Gehirn aktivieren. Mit einem Sozialverhalten wirkt der
Einzelne
auf sein Gehirn und die Hirne anderer ein. Mit gutem
Beispiel
voran gehen, ist die Devise der Professorin. Mit dem
Fazit: "Jeder,
der aufhört, sich für das Gute einzusetzen, spielt doch
nur denen
in die Hände, die Schlechtes im Sinn haben",
appelliert sie für
ethisches Handeln. Ein streitbares Buch fernab
wissenschaftlicher
überheblichkeit für mehr soziales Engagement und mehr
Miteinander
als Gegeneinander.
(c) Corinna S. Heyn
Margriet Sitskoorn,
Du willst es doch auch.
Warum uns das Gehirn sündigen lässt.
Lübbe Verlag 2012.
www.luebbe.de