Donnerstag, 26. Juli 2012

Buchkritik: Lisa Tralci und Charles Marin, Wechselfälle

Niemand ist allein


Lisa Tralci und Charles Martin publizierten "Wechselfälle" - elf Lebensgeschichten


Lisa Tralci und Charles Martin haben in dem Band "Wechselfälle" berührende
Lebensgeschichten zusammengetgragen. Sie erzählen sehr offen über ihre
Ängste, Nöte, Sorgen, aber auch ihre Träume und Wunscherfüllungen.
Es ist ein Gegenentwurf zu  den oberflächlichen Leistungsmaximen und zu
den Masken in Indusstrienationen, wo viele auf das reine Geldverdienen
reduziert werden. In dem Buch geht es nicht um die pure Leistung und wenn
doch, dann um den Preis, den die Seele dafür zahlt. Wie bei Norbert Joller,
der extrem früh heiratete, viel Geld mit Bodenlegen, Polstern und einem
Ladengeschäft verdiente, aber den die 80 Stunden Arbeit pro Woche total
ausbrannten. Irgendwann ging es nicht mehr. Nobert Joller hatte
Lähmungserscheinungen, Schmerzen und zog sich in sich zurück. Er nahm
16 Kilogramm an Körpergewicht ab. Da er keine Einkünfte mehr hatte,
verkaufte er sein Geschäft und sein Haus. Auf seinen Reisen ging es ihm
besser wie auf Tahiti oder den Osterinseln. Heute arbeitet der Schweizer
Teilzeit in einem Bioladen und träumt von einem einfachen Leben.
Uta Reutlinger wurde in der ehemaligen DDR geboren. Sie schätzte den
Sozialismus als das bessere Modell im Gegensatz zu dem kapitalistischen
Weseten. Sie studierte Sozialpädagogik und lernte in Dresden ihren
Mann Christian kennen. Der gebürtige Schweizer habilitierte in Deutschland
und ist heute am Institut für soziale Arbeit in Rorschach tätig. In der Schweiz
möchte Uta Reutlinger gerne mitbestimmen und fühlt sich dort wohl. Wenngleich
ein Satz in ihren Schilderungen zeigt, dass Schweizer nicht allen Deutschen
gegenüber offen und freundlich sind: "Nur eingewanderte Deutsche und die
Vorstandsmitglieder nehmen Gäste (Chor - zur Erläuterung) auf. Sonst
bleiben die Türen der fast leeren Häuser verschlossen."
Ein Autounfall brachte das Leben von Stefan Seiler aus der Bahn. Er
schuftete fünf Jahre an einem Schiff und segelte damit nach England, Madeira,
zu den Kapverdischen Inseln und durch das Mittelmeer. Stefan Seiler
absolvierte eine Ausbildung zum Goldschmied sowie eine weitere zum
Kunsttherapeuten in Deutschland. Er arbeitete in der Jung-Klinik in Zürich.
Duch einen Autounfall erlitt er ein Schädel-Hirn-Trauma. Noch heute hat
der Schweizer starke Schmerzen und bezieht eine halbe IV-Rente. Nur
Cannabis lindert seine Qual. Aber Cannabis ist eine Droge  und illegal.
Zumindest wenn es selbst angebaut wird. Als THC-Tropfen zahlen die
Versicherungen allerdings 1600 Franken im Monat. Mit seiner Frau Anita
ist Stefan Seiler rund 30 Jahre zusammen. Das Paar lebt im Toggenburg
und in Zürich. Lisa Tralci hat mit den Porträtierten gesprochen und
persönliche Schilderungen in der Ich-Form geschrieben. Sehr einfühlsam
und auf jeden Einzelnen abgestimmt. Es sind 11 Lebensentwürfe, die
verschiedener nicht sein könnten und an die eigene Biographie erinnern.
Dazu gibt es stille, meditative Fotos wie in Stein gemeißelt von Charles Martin.
(c) Corinna S. Heyn


Lisa Tralci,
Charles Martin,
Wechselfälle.
Vom Umgang mit biographischen Herausforderungen.
Elf Aufzeichnungen.
Appenzeller Verlag 2011

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